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Der Mann im schwarzen T-Shirt ist sauer. Er stemmt die Hände in die Hüften und geht auf den Typen im weißen Anzug zu. "Da schickt man den Typen einmal auf den Trödelmarkt, um Gitter zu kaufen", sagt er. "Und dann kauft er so billige Dinger!" Der Mann im Anzug lacht. Kann er auch, er ist Bela B., der Drummer der Ärzte. Angemotzt wurde er von Frontmann Farin Urlaub.
Was war passiert? Die Ärzte mussten tatsächlich ihr Konzert in der Olympiahalle in München abbrechen, weil die Fans das Gitter in der ersten Reihe durchbrochen hatten. "Wir können erst weiterspielen, wenn das in Ordnung ist", lautete die kurze Ansage. Wie? Die Punkband pocht auf Zucht und Ordnung? Okay, erstmal ein Bier holen und sehen, ob man auf dem richtigen Konzert ist.
Am Bierstand wird klar: Alles in Ordnung. Da stehen Menschen im Alter von 13 bis 47 Jahren, sie tragen T-Shirts, auf denen steht "Nimm mich mit" oder "Ich war dabei" oder einfach nur "Die Ärzte". Einer brüllt einen Song der Band, ein anderer will dringend vier Bier kaufen. Manchmal flucht einer. Aber nur kurz.
Es ist deine Schuld, wenn die Welt so bleibt, wie sie ist
Nach 15 Minuten ist das Problem mit den Gittern behoben, Bela B. und Farin Urlaub fingieren einen Streit auf der Bühne, die Fans sind noch unsicher. Geht das Konzert weiter? Farin Urlaub gibt Entwarnung: "Als Entschädigung spielen wir nun länger, die letzte S-Bahn bekommt ihr sowieso nicht. Die hat der Typ gebaut, der auch das Gitter da vorne gebastelt hat." Ein langer Abend soll es werden. Also noch Bier. Aber schnell, denn die Ärzte spielen eines ihrer Lieblingslieder: ein Song, bei dem die Zuschauer "Laaa-la-lala-laaaa" mitgröhlen können. Funktioniert.
Im Hintergrund tanzen Ginger Rogers und Fred Astaire auf einer Video-Leinwand, vorne schraddelt Farin Urlaub die Gitarre, im Hintergrund klopft Bela B. stehend auf die Drums. Beide singen: "Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt so ist wie sie ist, es wär' nur deine Schuld, wenn sie so bleibt." Das Publikum singt mit - und zwar auch jene, die sich eine Sitzplatzkarte gekauft und geplant hatten, nur kurz mit dem Kopf zu wackeln. Soll man noch ein Bier holen oder schnell in die Arena zu den Hardcore-Fans? Also gut, eins geht noch.
Es gehört zur Qualität dieser Band, nicht nur Akkorde zu klopfen und eigene Texte zu rezitieren, sondern live zu improvisieren. Dazu gehören kleine Spitzen auf die Weltpolitik ("Wer bei einem Ärzte-Konzert sitzt, wählt auch George W. Bush!"), Streitereien der Bandmitglieder ("Bela, du bist ein Arsch!") und Frotzeleien mit dem Münchner Publikum ("Seid ihr jetzt alle Bayern-Fans oder was?"). Man brüllt mit, auch wenn man am Rand steht und Bela nicht für einen Arsch hält und eigentlich Bremen-Fan ist. Im Hintergrund wird ein verzerrtes Atari-Logo gezeigt. Jetzt aber kein Bier mehr. Jetzt schnell zu den Fans.
Ich bin dagegen
Dieses Rumgestehe bei den Kopfnickern bringt sowieso wenig Sinn, bei den Ärzten muss man dort stehen, wo Menschen rumhüpfen, ihre Körper aneinander werfen - und Gitter umrennen. Rechtzeitig zur zweiten Hälfte des Auftritts zeigt die Band, die einst per Kontaktanzeige ("Beste Band der Welt sucht Plattenvertrag!") den Erfolg suchte, warum sie Hallen wie die im Münchner Olympiazentrum füllen kann. Die Ärzte spielen "Ein Song namens Schunder", "Zu spät" und "Westerland" - und noch 40 Minuten lang weitere Charterfolge. Hatte diese Band tatsächlich so viele Hits? Gibt's ja gar nicht. Wo ist eigentlich die Frau mit den Caipirinhas?
Ein Konzert der Ärzte besteht - anders als bei anderen Künstlern - nicht nur aus dem Anhören der Songs und dem Tanzen dazu. Die Band schafft es, mit den Fans zu kommunizieren und zu interagieren. Kein Konzert ohne Text-La-Ola (Die Menschen auf der Tribüne singen abwechselnd "An-ne-lie-se", das Publikum in der Arena "Schmidt".) Danach gibt es die Sitz-La-Ola, eine Arena-La-Ola und die Welche-La-Ola-uns-eben-einfällt. Die Menschen werfen die Arme in die Luft. Sie gröhlen. Sie setzen sich hin. Sie singen. Sie stehen wieder auf. So viel angeordnetes Singen, Hinsetzen und Wieder-Aufstehen sieht man selten auf einem Punk-Konzert.
Nach mehr als drei Stunden - ja, das gibt es noch - müssen die Ärzte Schluss machen. Man bedankt sich artig beim Publikum und bei den Ordnern, die die Gitter wieder aufgebaut haben. Man lässt sich beklatschen wie einst Frank Sinatra beim Konzert in Las Vegas. Die Menschen in der Arena sind betrunken, durchgeschwitzt - und glücklich. Schließlich hat Farin Urlaub nicht gesagt: "Das war's!" und ein Lied der Marke "My way" gesungen. Er hat gesagt: "Bis zum nächsten Mal!". Na dann. Wir kommen wieder - und bringen anständige Gitter mit.