Ich hab mir jetzt mal zwei Tage Zeit genommen, weil ich das nicht emotionalisiert angehen wollte. Dass Pantera für mich seit vielen Jahren eine wichtige Band sind, ist dem Thread genauso zu entnehmen wie die Tatsache, dass ich nicht ausschließlich voller Vorfreude bin, sondern das ganze Projekt Reunion trotz allem skeptisch beäuge. Dass die Band mir so viel bedeutet, sorgt hoffentlich nicht dafür, dass mir in der Folge irgendeine emotionale Befangenheit unterstellt wird.
- Ich hatte und habe großes Verständnis für jeden, der der Meinung war und ist, jemand mit einer solchen Vorgeschichte sollte nicht auf ein Festival eingeladen werden. Und zwar ganz unabhängig vom geschichtsträchtigen Ort. Jemanden, der im Suff Den Arm hebt und White Power schreit, auf keiner Festivalbühne zu dulden, ist vollkommen legitim. Das hat auch nichts mit einer wie auch immer gearteten Cancel Culture zu tun. Play stupid games, win stupid prices. Das war auch schon so, bevor die neue Rechte sich dafür einen Kampfbegriff zurechtgelegt hat. Diese Meinung kann man meines Erachtens nach sogar vertreten, wenn man vom einmaligen Fehltritt eines geläuterten Phil Anselmo, dem keine Ideologie zugrunde liegt, ausgeht.
- Wie bereits im Thread dargelegt, ist es aber auch legitim, Phil Anselmo seine Entschuldigung und Distanzierungen zu glauben. Es war wie erläutert ein langer Prozess, in dem sich mit Hilfe zahlreicher kritischer Szene Medien eine Meinung gebildet werden konnte. Ferner gab und gibt es einige eindeutig links zu verortende Musiker wie etwa Phil Rind von Sacred Reich oder auch die von den Hosen in ihrem ersten, meines Erachtens nach sehr guten, Post angesprochenen Napalm Death oder Bad Religion. Das bedeutet ausdrücklich
nicht, dass man deswegen Phil Anselmo Absolution erteilen muss und alles andere falsch ist (s. o.). Aber es sollte für jene, die sich mit Pantera und speziell Phil Anselmo bis dato nicht auseinandergesetzt haben, als wertvoller Hinweis gelten, um der Debatte ausgewogen und informiert begegnen zu können.
- Beim Veranstalter ist man zum 10.01. augenscheinlich zu einem ähnlichen Standpunkt gelangt wie ich. Sehr positiv dabei fand ich, dass man die Debatte nicht unkontrolliert hat nebenherlaufen lassen, sondern dass man anerkannt hat, dass da was passiert, was die Menschen beschäftigt. Man hat sich positioniert und ich war zufrieden damit. Es hätte mich vermutlich immens gestört, wäre der Veranstalter zu diesem Zeitpunkt zu einem anderen Ergebnis gekommen und hätte Pantera ausgeladen, aber ich hätte es mindestens als klare Positionierung respektiert.
- Am 18.01. kam dann das Statement der Hosen, das ich ebenfalls wirklich gut fand. Weil sie anerkannt haben, dass sie offensichtlich noch nicht genug über den Sachverhalt wissen, um eine klare Haltung einnehmen zu können und sich dabei auf diejenigen verlassen, die es anscheinend schon besser können, ohne dabei die berechtigten Sorgen der Fans zu vernachlässigen. Etwas, was andere "Big Player" der Debatte, wie etwa Jasmina Kuhnke (Quattromilf), deren Aktivismus ich normalerweise sehr schätze, meiner Meinung nach nicht geschafft haben. Es gibt viele politisch klar links zu verortende Szenemedien wie das Deaf Forever oder ebenso klar links zu verordnende Musiker wie Mille Petrozza von Kreator (die ihrerseits bald mit Pantera Bühnen teilen werden), die man sich in dieser Debatte hätte zur Seite holen können und in meinen Augen auch müssen. Auf deren Wissen hat man aber verzichtet, und das kritisiere ich scharf.
- Genauso kritisiere ich das zurückrudernde zweite Statement der Hosen wenige Tage später. Ich weiß nicht, was für Informationen die Hosen innerhalb von zwei Tagen meinen gewonnen zu haben, die sie vorher, als sie ein gedankenvolles und bemühtes erstes Statement abgegeben haben, noch nicht hatten. Innerhalb eines so kurzen Zeitraums schon zu wackeln finde ich unglücklich, weil es in meinen Augen entweder dafür spricht, dass man das erste Statement abgegeben hat, ohne genug Informationen zu haben, oder aber das zweite aufgesetzt hat, weil das Feedback auf das erste zu negativ war. Die beiden Statements passen für mich jedenfalls nicht zusammen. Mit dem zweiten Statement war aber eigentlich schon klar, wie das alles ausgehen wird.
- Dann ist es dem Veranstalter auf die eine oder andere Art und Weise ans Geld gegangen und nicht mal zwei Wochen nach einer klaren Positionierung passiert das Gegenteil dessen, wofür man eigentlich stehen wollte. Eine vollkommen amateurhafte Außendarstellung und eine Inkonsequenz, die fernab des Inhalts der Debatte geradezu betroffen macht, weil das alles dermaßen unbeholfen gehandhabt worden ist.
- Jetzt kommen wir an den Punkt, der mich massiv nervt. Wir haben nun eine Band aus dem Line-Up entfernt, zu der man geteilter Meinung war. Und im Endeffekt hat der Ober den Unter gestochen und ein Künstler, der mit Hitlergruß und White Power Ausruf im Suff auf der Bühne auffällig geworden ist, darf nicht auf dem Reichsparteitagsgelände auftreten. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Phil Anselmo klar und glaubhaft dargelegt hat, dass er kein Rassist ist, aber wie eingangs erwähnt, muss man diese Meinung nicht teilen und selbst wenn man sie teilt, kann man diese Entscheidung trotzdem befürworten. Während jemand mit dieser Vorgeschichte vom Festival fliegt, ist mit Kontra K jemand, der nicht nur bekanntermaßen mit klar erkennbaren Nazis befreundet ist, sondern zu diesen auch noch
Geschäftsbeziehungen pflegt, nicht nur weiterhin Teil des Billings, sondern nie Gegenstand einer Debatte gewesen. So jemand hat auf einem Festival mindestens genauso wenig verloren wie Phil Anselmo. In meinen Augen sogar bedeutend weniger. Dass entgegen meiner vollmundigen Prognosen nun doch nicht Metallica der letzte Headliner geworden sind, verhindert derweil, dass man sich darüber unterhalten müsste, dass es ein Foto von zwei Bandmitgliedern dieses seit Jahrzehnten etablierten RiP/RaR Stammgastes gibt, auf dem diese den Hitlergruß zeigen. Nicht etwa aus Ideologie, sondern weil sie jung und dumm waren und das Glück hatten, dass es zu einer Zeit entstanden ist, in dem noch nicht jeder eine (Video-)Kamera in der Hosentasche hatte. Ansonsten müssten wir uns die Frage stellen, ob wir es akzeptieren, dass jemand jung und dumm so etwas tut, während wir es nicht akzeptieren, dass jemand alt und besoffen das tut, und wenn ja, warum eigentlich. Dass es Metallica gar nicht braucht, um hier endgültig nichts mehr zu verstehen, schafft dann die heute erfolgte Bestätigung von Five Finger Death Punch, deren Mitglieder sich teilweise dadurch auszeichnen, den Sturm auf das Kapitol befürwortet zu haben und in Musikvideos mit eindeutig rechter Symbolik aufgefallen zu sein. Und zwar nicht besoffen in einer impulsiven Situation vor sieben Jahren, sondern im Zuge minutiös geplanter Promo- und Marketingmaßnahmen. Wie kann man es mit dem eigenen Gewissen vereinbaren, gegen Pantera auf dem Festival gewesen zu sein, aber kein Problem mit FFDP oder Kontra K zu haben?
- Diese Inkonsequenz ist es, was mir an dieser ganzen Angelegenheit wirklich im Magen liegt. Ich begrüße es, dass Rock im Park endlich als Festival angesehen werden kann, das sich positioniert. Aber dann solle s sich auch positionieren. Und nicht so eine inkonsequente Scheiße machen. Wem muss ich eine empörte Mail schreiben, damit meine Probleme mit diesen Acts genauso ernst genommen werden, wie die Probleme anderer Personen mit Pantera?
Ich weiß nicht, wie ich die Angelegenheit für mich bewerten würde, hätte es nun eine Band erwischt, die mir scheißegal ist. Vielleicht wäre es mir egal. Mindestens hätte ich mir wohl keine Stunde Zeit genommen, so einen Post auszuarbeiten. So ehrlich muss man sein. Ich weiß es schlichtweg nicht. Ich werde jetzt hier auch keinen Dramatic Exit hinlegen, dem Festival nur das schlechteste wünschen und mich für alle Zeiten nicht mehr mit Rock im Park versöhnen. Aber auf absehbare Zeit hat mich das Festival damit verloren. Das finde ich massiv schade, weil ich unglaublich viele unglaublich schöne Erinnerungen mit dem Festival verbinde. Aber vor einer Bühne, auf der der (vermeintliche) Rassismus des einen geduldet wird, während der (vermeintliche) Rassismus des anderen zur Streichung einer Band führt, zu feiern, würde sich für mich falsch anfühlen. Und ich will mich nicht über die Inkonsequenz des einen aufregen, während ich mir mit meiner eigenen Inkonsequenz ein lockeres Wochenende mache.