Die Reaktion von DICK´s Sporting Goods ist zweifellos überaus löblich und wird hoffentlich von der ein oder anderen Company übernommen. Auch wenn diese Art der Mitarbeiterfürsorge sicher einigen geringverdienenden Verkäuferin von Sportklamotten ein wenig helfen wird, darf man nicht vergessen, das es sich bei der Firma um einen großen Konzern mit Milliardenumsätzen handelt.
Die allermeisten betroffenen Frauen werden jedoch nicht in der Glück-im-Unglück Situation sein, jemanden an der Seite zu haben -sei es der Arbeitsgeber oder einen Unterstützer aus dem privaten Umfeld- der eine Abtreibung in einem anderen Bundesstaat finanzieren wird.
Zivilcourage und Selbsthilfe der Amerikaner in allen Ehren, aber ich kann mir nicht so recht vorstellen, das sich die Demokratie in den USAgerade neu erfindet. Hier geht es um grundlegende Menschenrechte die nunmal von staatlicher Seite garantiert werden müssen. Ein im Einzelfall funktionierender Workaround auf gesellschaftlicher Ebene hat dem imho nicht genug entgegen zu setzen oder gar das Potential die gesellschaftliche Spaltung zu bremsen/umzukehren.
Die Midterms stehen vor der Tür ... denke man muss kein Prophet sein wenn man erneut von einem dreckigen Wahlkampf ausgeht der nicht nur "da oben" geführt sondern auch auf der Straße von den politischen Lagern befeuert wird.
Aber was weiß denn ich, einer der noch nie in den US of A war.
DICK's sind bei weitem nicht die einzigen. Es gab kaum ein halbwegs modernes Unternehmen mit Sitz in den USA, das nicht darauf reagiert hat. So böse das Urteil ist, so zuversichtlich stimmt mich die Reaktion des privaten Sektors.
Und nein, wenn man noch nie in den USA war und vorallem in einer deutschen Bürokratie aufgewachsen ist, versteht man nicht, wie das Land tickt. Die USA hat eine deutlich geringere Einfluss des Staates auf das Privatleben eines Menschen, wie dies in Deutschland der Fall ist. Und wenn man das nie gesehen oder gefühlt hat, dann nein, weiss man nicht, wie sich das anfühlt. In einer deutschen Bürokratie vertraut man den Hierarchien und vertraut auf Papa Staat, dass er einen schon immer wieder aus der Bredouille boxt. In den USA misstraut man, teilweise hasst man den Staat aufs Blut und versucht, sich so weit wie möglich vom Staat fern zu halten, wie nur möglich. Das sind radikal andere Ansätze, wie ein Land funktioniert.
Dazu kommen weitere Faktoren dazu, die man nicht versteht, wenn man das Land nur aus den Medien kennt. Die USA wurden - wie damals auch die moderne Schweiz - mit einem Föderalistischen Ansatz aufgebaut. Und dieser Ansatz war im 18. Jahrhundert super, ist heute aber verheerend. Wie in der Schweiz auch nehmen einige wenige rückständige Bundesstaaten mit 10-15% der Bevölkerung den Rest des Landes in Geisselhaft. In der Schweiz sind es die Innerschweizer Kantone, in den USA ist es der Bible Belt. Und während dem die beiden Küstenregionen ökomisch und bevölkerungstechnisch in den letzten 50 Jahren explodiert sind, ist der Rest stehen geblieben. Auch hier analog zu der Schweiz, in dem die Metropolregionen Zürich, Basel und Genf den rest der Schweiz durchfüttern (ich weiss, Einsiedler wird das verneinen, aber die Zahlen sprechen für sich).
Dazu kommt, dass man gerne vergisst, wie riesig das Land ist. Die USA sind 27,5 mal grösser wie Deutschland und entsprechend prallen hier nebem den ökonomischen auch ganze Kulturen aufeinander. Der Kulturclash ist nicht Sachsen vs. Hamburg, sondern eher Hamburg gegen Katar. Was im übrigen auch etwa der Distanz zwischen Boston und San Diego entspricht. Und genauso wie du nicht gerne mit den menschenrechtsverletzendem Regime von Katar in einen Topf geworfen wirst, wird eben auch der progressive Kalifornier nicht mit den Swamp People in Alabama verglichen.
Aber eben, was will ich schon wissen, der schon gut 50 Wochen in den USA verbracht hat, 25 Bundesstaaten besucht hat und seit 15 Jahren US Medien ganzjährig liest...