BRAUNE SCHULHOF-CD
Viel Lärm um schlechte Musik
Die NPD rüstet auf und verteilt 200.000 CDs an Jugendliche - vor statt in den Schulen. Rechtlich ist dagegen wenig zu machen. Darum bieten Behörden eine Umtauschaktion mit "Musik gegen rechts" an, die Grünen setzen auf Rückgabe mit Gewinnchance.
Zumindest eines hat die NPD mit ihrer Schulhof-CD erreicht: Sie ist im Gespräch. Wenn auch nicht im positiven Sinn. Kultus- und Innenminister der Länder übertrumpfen einander mit Warnungen, Verurteilungen und Empfehlungen zum Umgang mit der rechten Propaganda-Musik. "Die politische Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen endet nicht an der Schultür", erklärte etwa Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt.
Am Montag hatte die NPD begonnen, die CDs in einzelnen Bundesländern zu verteilen. Die Hälfte der 200.000 CDs sei schon unter die Leute gebracht, erklärte der NPD-Wahlkampfleiter Peter Marx in einer Presseerklärung. In Niedersachsen, Berlin, Sachsen und im Saarland hatten sich Wahlhelfer der NPD vor Schulen, Jugendzetren und Berufsschulen postiert, in Hamburg war die CD schon in der vergangenen Woche aufgetaucht. Auf der Schulhof-CD, die die NPD inzwischen mit dem Untertitel "Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker" versehen hat, sind unter anderem Bands wie "Faustrecht" oder "Nahkampf" zu hören.
Rechtlich haben die Behörden jedoch trotz der martialischen Namen und Titel wie "Frieden durch Krieg" keine Handhabe gegen die rechten Tonträger. Zumindest nicht gegen die neue Auflage. Denn es sind zwei Varianten von Schulhof-CDs im Umlauf: Eine CD mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" war bereits im vergangenen Jahr gepresst worden und kann beschlagnahmt werden, weil sie wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole als strafrechtlich relevant eingestuft worden war. Der aktuellen Schulhof-CD der NPD, die zu Wahlkampfzwecken verteilt wird, ist so jedoch nicht beizukommen, die strenge Prüfung der Staatsanwaltschaften hat der Tonträger bestanden.
Kampf um Erstwähler
"Die NPD betrachtet die Erstwähler als wichtige Zielgruppe", schreibt NPD-Sprecher Marx in der Erklärung. Und Statistiken zeigen, dass die rechte Partei gute Gründe dafür hat, im Wahlkampf auf das Klientel der Schüler zu setzen. Ein Bericht des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg hatte zuletzt gezeigt, dass unter rechtsextremistischen Tatverdächtigen immer mehr Jugendliche sind. Von 483 Verdächtigen waren 2004 allein 90 zwischen 14 und 17 Jahre, eine Steigerung zum Vorjahr um fast drei Prozent. "Die Kameradschaft in der Skinheadszene zieht zunehmend junge Leute an, die emotional vernachlässigt sind", erklärt Joachim Rück vom Landeskriminalamt.
Bitte draußen bleiben: Die Gegner der Rechten wehren sich
AP
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Der Erfolg der CD-Aktion ist jedoch mäßig, einzelne Meldungen zeugen eher von Desinteresse. Vor vielen Schulen in Niedersachsen seien die CDs erst gar nicht angenommen worden, berichtet eine Sprecherin der Grünen, in Wolfenbüttel übergab ein Schüler dem Hausmeister sechs CDs. In Berlin-Marzahn entriss ein NPD-Wahlhelfer auf einem Schulhof einer 62-jährigen Lehrerein mehrere CDs, die diese von Schülern bekommen hatte. Die Polizei ermittelt nun wegen Raubes gegen den Helfer.
Doch solange die NPD-Aktivisten nicht das Schulgelände betreten, ist die Polizei machtlos. Nur wenn die Wahlhelfer versuchen, auch auf dem Schulhof zu verteilen, kann der Schulleiter von seinem Hausrecht Gebrauch machen und die Verteiler vom Gelände werfen. An den Schulen wird deshalb vor allem auf Aufklärung gesetzt wird. Dabei reagieren die Behörden erstaunlich kreativ. So lässt der Verassungsschutz Nordrhein-Westfalen derzeit Manga-Comic gegen rechte Propaganda verteilen. Und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat bereits in der vergangenen Woche angeboten, die Neonazi-Tonträger gegen die "Hörbar Tolerant - Musik gegen rechts"-CD umzutauschen, die vor einigen Wochen erschienen war.
Gewinnspiel um rechte Tonträger
Und auch die Grünen haben eine Umtauschaktion gestartet, initiiert von der grünen Jugend. Jeder Jugendliche, der eine CD zurückgibt, nimmt an einem Gewinnspiel teil, bei dem als Preise ein Paket von zehn CDs und zwei Tickets zum Abschlusskonzert von "Laut gegen Nazis" am 18. November in Berlin verlost werden. "Das Ziel der NPD wird so konterkariert. Es hilft dieses Mal eben nicht, sich auf rechtliche Schritte zu verlassen, wir müssen mit pfiffigen Ideen etwas dagegen setzen", erklärte Nikolaus Stumpfögger von den Brandenburger Grünen gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Doch die bundesweite Aktion stößt auch auf Kritik: So empörte sich Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) über die Wirkung der Verlosung. "Ich bin geradezu entsetzt, wenn junge Leute mit einem Gewinnversprechen auch noch aufgefordert werden, das Propagandamaterial rechtsgerichteter Gruppen entgegenzunehmen", sagte Busemann.
Die Grünen weisen die Anschuldigungen, die rechte Propaganda als Gewinnspiel-Währung zu unterstützen, jedoch entschieden zurück. "Ich finde, das ist eine Unverschämtheit", sagt Niedersachsens Parteichefin Brigitte Pothmer. "Das soll doch nur von eigener Untätigkeit ablenken." Durch das Gewinnspiel werde die CD aus dem Verkehr gezogen, und Jugendliche würden animiert, sich bewusst mit Rechtsextremismus auseinanderzusetzen und sich die CD eben nicht kritiklos anzuhören, sagte Pothmer SPIEGEL ONLINE.
Ob Textzeilen wie "Wenn ich sterbe so fall ich für die Fahne vom Reich" den Nerv der Zeit und den Geschmack der Jugendlichen treffen, ist ohnehin fraglich. Doch in der NPD-Zentrale reagiert man auf die Gegenaktionen mit Entrüstung. Die Maßnahmen verstießen "massiv gegen die grundgesetzlich garantierte Chancengleichheit der Parteien", wetterte Peter Marx. Wenige Tage vor der Bundestagswahl fährt der NPD-Sprecher deshalb die ganz großen Geschütze auf: Wegen des "aggressiven Vorgehens" Schönbohms und anderer Politiker erwäge die NPD nun, die Bundestagswahl anzufechten.
Jens Radü